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Andreas Gryphius (1616-1664)

Abend

Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt ihre Fahn /
Vnd fuehrt die Sternen auff. Der Menschen muede Scharen
Verlassen Feld und Werck / wo Thir und Voegel waren
Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit verthan!
Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glider Kahn.
Gleich wie diß Licht verfil / so wird in wenig Jahren
Ich / du / und was man hat / und was man siht / hinfahren.
Diß Leben koemmt mir vor als eine Renne-Bahn.
Laß hoechster Gott / mich doch nicht auff dem Lauffplatz gleiten /
Laß mich nicht Ach / nicht Pracht / nicht Lust nicht Angst verleiten!
Dein ewig-heller Glanz sey vor und neben mir /
Laß / wenn der muede Leib entschlaefft / die Seele wachen
Vnd wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen /
So reiß mich aus dem Thal der Finsternueß zu dir.

Die etwas eigenartige Schreibweise ist Absicht, alle Umlaute gehören eigentlich als e über a/o/u geschrieben, was aus technischen Gründen nicht möglich ist. Man könnte es zum besseren Lesen als 4+4+3+3 Zeilen einteilen. Es ist aber so zusammen geschrieben worden.


Die Ganz-ganz-kurz-Interpretation:
Ein Klanggedicht (vulgo: Sonett) von Gryphius aus dem der verzweifelte Schrei des a priori hoffnungslosen "Carpe diem!" spricht, dessen Gelingen nur durch Gott eintreten kann (falls man an den glaubt, was Gryphius mit einiger Sicherheit tat).


Stefan Brix
sx@brix.de

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